Ein Bürgerrat zur Ernährung
Eine ungewöhnliche Veranstaltung des Klimabündnis Bergstraße
Ausnahmsweise hatte das Klimabündnis zwei besondere Gäste bei seinem kürzlichen Online-Treffen.
Zugeschaltet als Referentin war Katrin Richthofer aus München vom Verein Klimamitbestimmung e.V. Dieser Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Bürgerräte als eine Form direkter Demokratie zu fördern, gerade für die weitreichenden Entscheidungen, die zum Klimaschutz notwendig sind. Den Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ hat Frau Richthofer intensiv begleitet. 70 000 Menschen unterstützten 2020 eine Petition an den Bundestag zur Einrichtung eines Klima-Bürgerrats. Die neue Koalition 2021 legte sich fest, bis zu 3 Bürgerräte in der laufenden Legislaturperiode durchzuführen. Nachdem es schon eine ganze Reihe von der Zivilgesellschaft durchgeführte Bürgerräte gegeben hatte – der „Bürgerrat Klima“ unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Schäuble – wurde im Mai 23 erstmals offiziell vom Bundestag ein Bürgerrat zum Thema Ernährung beschlossen.
Die 160 teilnehmenden Bürger:innen wurden in einem mehrstufigen Verfahren ausgewählt. Zuerst wurden 70 Orte, über Deutschland verteilt, Dorf bis Großstadt, ausgewählt. Dann wurden 20 000 dort wohnende Menschen ab 16 Jahre angeschrieben. 2 200 davon haben geantwortet und ihr Interesse bekundet. Von diesen wurden nach den verschiedensten Kriterien (Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Gemeindegröße, Bildungshintergrund, vegetarisch/vegan) 160 ausgewählt. So wurde erreicht, dass – anders als meist bei Bürgerbeteiligungen – ein weitgehend repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung im Bürgerrat vertreten war. Es fanden dann zwischen September 23 und Februar 24 3 Wochenend-, 6 Online- und 3 Redaktionstreffen statt, um Themen zu diskutieren und Empfehlungen zu formulieren und diese dann im Februar dem Bundestag zu übergeben. Die Teilnehmer:innen bekamen Aufwandspauschalen für die Sitzungen. Die Fraktionen des Bundestags wählten Expertinnen und Experten aus, die den Bürgerrat berieten. Das Thema „Ernährung“ wurde vom Bundestag vorgegeben, die Festlegung der behandelten Themengebiete traf der Bürgerrat.
Der zweite besondere Gast beim Treffen des Klimabündnis‘ war Achim Thomas, ein Lampertheimer, der als Teilnehmer bei diesem Bürgerrat mitmachte. Sein Bericht war sehr interessant und erfrischend: Man spürte die Begeisterung über die Erfahrung der gemeinsamen Arbeit der „160 Fachfremden, die in einem Eilritt durch viele Vorträge geschleust wurden“. Der Zeitdruck war jedoch permanent vorhanden. Sie haben dann die Themen eingedampft und mit den Expert:innen vertieft. Erstaunlich und verwirrend waren z. B. die vielen rechtlichen Aspekte und unübersichtlichen Zuständigkeiten. Z.B. beim Containern, also dem Herausholen von weggeworfenen Lebensmitteln aus den Abfallcontainern bei den Supermärkten: Ist das Diebstahl und Hausfriedensbruch, wenn man eine verschlossen Mülltonne auf einem fremden Grundstück aufmacht? Solche Fragen zu klären haben immens viel Zeit gekostet. Und das Feld der Themen war riesig. Bei der Hauptforderung, auf die sich der Bürgerrat dann geeinigt hat, das beitragsfreie Mittagessen für alle Schüler:innen, war schnell klar, dass da die Länder zuständig sind – diesem Umstand begegnete der Bürgerrat mit dem klugen Vorschlag, die Kosten zwischen Bund uns Ländern aufzuteilen. Der Bürgerrat hat sich wirklich viel Mühe gegeben. Aber wer weiß, was davon politisch umgesetzt wird. Herr Thomas meinte, es fühlte sich etwas an wie zwischen Eltern und Kindern: Die Kinder werden gefragt, was sie wollen. Entscheiden werden am Ende die Eltern…
Immerhin hat dieser erste Bundestags-Bürgerrat viel Beachtung gefunden, der Bundestag hat über die Empfehlungen debattiert und der Bundestagsausschuss Ernährung hat bereits ein Fachgespräch organisiert zur ersten und wichtigsten Forderung des Bürgerrats „Bundesweit kostenfreies, gesundes Mittagessen für alle Kinder als Schlüssel für Bildungschancen und Gesundheit.“ Wie weiter mit den Forderungen des Bürgerrats umgegangen wird, kann auf der Webseite des Bundestages nachverfolgt werden.
Diese Themen sind vielleicht nicht so direkt im Zentrum, wenn man an Klimaschutz denkt. Der Augenmerk auf die Emissionen durch über 12 Mio. Tonnen produzierte, transportierte und dann vernichtete Lebensmittel, die steuerliche Gleichbehandlung von veganen und vegetarischen Ersatzprodukten (heute 12% mehr Steuer als Milch und Fleisch!) oder eine naturnähere Tierhaltung sind aber ebenfalls wichtig und auf jeden Fall mit dem Klimathema verflochten.